18.3 Gesetz und Gnade: Der Weg der Ausgewogenheit
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Kapitel 18.3 „Gesetz und Gnade: Der Weg der Ausgewogenheit“ ruft dazu auf, in allem den goldenen Mittelweg zu suchen und Extreme zu meiden: Weder Gesetzlichkeit noch Gesetzlosigkeit birgt Heil. Ein Leben aus der Liebe und Gnade befreit von beidem.
Das war die Einsicht Siddharta Buddhas nach einem langen vergeblichen Weg der Selbst-Kasteiung: Wenn man die Saiten auf einem Musikinstrument zu sehr anspannt, reißen sie, hält man sie zu locker, kann man nicht mehr auf ihnen spielen.
So gilt es, die Extreme zu meiden und weder in Gesetzlichkeit noch in Gesetzlosigkeit zu verfallen. Gesetzlichkeit verkennt die Liebe und Gnade Christi, an der alles hängt und die alle Wandlung zu einem guten Wesen von selbst herbei führen wird; der Gesetzliche meint, dies durch eigene Kraftanstrengungen herbei führen zu müssen, andernfalls die Gnade zu verspielen. Gesetzlosigkeit dagegen nimmt diese Gnade als einen Deckmantel der eigenen Bosheit, als einen Freibrief zu ungezügeltem Sich-gehen-Lassen; der Gesetzlose hat noch nicht erkannt, dass das Reich Gottes und die in Christus geschenkte Freisetzung zu umfassender Freiheit nicht in jeder Form von Ungehemmtheit besteht. Eine so bestimmte Seele bringt sich durch ihr unseliges Tun selbst um die Erfahrung, in der Liebe und Gnade Christi aufblühen zu können. Darum muss sich jeder prüfen, wo er steht, will er wirklich im Reich der Liebe Christi aufleben.
Mit Unzulänglichkeiten und Gebundenheiten geht der Herr gnädig um. Hier soll man auch selbst nachsichtig mit sich sein und auf Christus vertrauen, der, wenn man sich an Seine Liebe und Gnade hält, durch die Zuwendungen Seines Liebeswesens zu seiner Zeit eine Wandlung des eigenen Wesens herbei führen wird.
Ganz ähnlich rät auch schon der weise Salomo aus seinem reichen Erfahrungsschatz, nicht allzu anmaßend und vermessen nach Gerechtigkeit zu trachten, wie ebenso, nicht töricht allzu ungerecht zu leben. Beides bringt um das Leben in der göttlichen Liebe.
Die Freiheit, die Christus zu allem schenkt, gleicht einem Pferd, das einen ganz von selbst mit sich in neue Länder trägt. Man muss nur Acht haben, weder über das stolze heilige Haupt, noch über den unheiligen Schwanz von diesem Pferd zu fallen.
Entsprechend hat Christus geboten, sich sowohl vor dem Sauerteig der enthaltungs-vollen Pharisäer, als auch vor dem der orgien-vollen Herodianer zu hüten. Beide Extreme machen alles sauer.
Der Schüler Jesu ist darüber irritiert: Heißt es nicht, man solle nach dem Heil, der eigenen Heiligung trachten „mit Furcht und Zittern“? Wie kann nun der Herr aufrufen zu totaler Freiheit in vollkommener Furchtlosigkeit?
Christus erklärt, dass es zwei Arten von Furcht gibt: Wer sich vor Christus fürchtet, verunehrt Ihn dadurch. Denn er verleugnet, dass die Liebes-Trinität allen lieber Papa und gute Mama sein will und dass die göttlichen Liebes-Personen umsorgen wie gütige Eltern, die ihre Kinder niemals verstoßen könnten.
Solche Ehrfurcht, die die Liebe ihrer Eltern schätzt, vertreibt jede Furcht und Zweifel an der elterlichen Liebe wie einen bösen Dämon und hält sich in Gelassenheit und Frieden, um die Glückseligkeit in der Liebe der Eltern genießen zu können.
Christus ermahnt: Man kann nicht zwei Herren dienen. Entweder man lebt gänzlich unter dem Gesetz oder völlig unter der Gnade. Man kann sich nicht zugleich unter dem Gesetz und unter der Gnade erfahren. Wer sich nicht unter der absoluten, unverlierbaren Gnade weiß, die auch den Gottlosesten noch gilt und auf den rechten Weg bringen wird, der steht noch unter dem Gesetz, dessen Last ihn irgendwann erdrückt.
Der Gesetzliche, wie der Gesetzlose erfährt nämlich sein Karma in voller Härte, bis es ihn seiner absoluten Unzulänglichkeit und Gnadenbedürftigkeit überführt. Wer so – auf die eine oder andere Weise – in den totalen Zerbruch geführt worden ist, der erkennt, dass auch das Gesetz, das Karma, bei aller weiter bestehenden Gültigkeit, letztendlich nichts als Gnade ist, die in die Arme der Gnade Christi führt und so heilt und errettet. Der findet Frieden, denn er erkennt: Alles ist Gnade!
So gibt es nur ein Leben unter der Gnade oder unter dem Gesetz – ein Leben erfüllt von Liebe zur Liebe oder ein Leben in Angst vor dem Verlust, was sorgenvoll an das Ego kettet. Im Letzten ist es eine Frage des Vorhandenseins von kindlichem Vertrauen, das Gott alles zutraut.
Auch die Einstellung zum Glauben an die Allversöhnung entscheidet darüber, ob man im Himmel oder in der Hölle lebt. Hält man es für unmöglich, dass das mütterliche Christusherz je irgendein Wesen auf ewig verdammen könnte, lebt man im Himmel, zweifelt man aber an dieser unendlichen göttlichen Liebe, bleiben auch immer Zweifel, ob man denn selbst das Heil erlangt. Daran zeigt sich, wie eng die eigene Glückseligkeit doch an die Glückseligkeit aller gebunden ist, weil letztlich alles zusammen gehört. Es geht um die Frage, ob die eigene Gerechtigkeit gänzlich außerhalb von einem selbst, bei Christus liegt, oder letztendlich doch bei einem selber.
Christus verdeutlicht dies an einem Gleichnis von drei verirrten Söhnen, denen ihr Vater ein Licht Seiner lodernden Liebe entzündet, um ihnen den Weg nach Hause zu weisen. In diesem Licht sehen sie, wie verkotet und verdreckt sie sind, sowie, wie groß die Liebe des Vaters sein muss, dass Er ihnen dennoch die Möglichkeit zur Heimkehr offen hält.
Der Älteste meint, weitere Fehltritte seien angesichts des nunmehr den Weg zum Vaterhaus klar ausleuchtenden Lichtes nicht mehr entschuldbar und schaut auf dem Heimweg so penibel auf den Weg, um sich nicht noch mehr zu beschmutzen, dass er das Licht aus den Augen verliert und in immer größere Umnachtung abirrt, ohne es selbst zu merken.
Der Jüngste meint, wenn der Vater jetzt noch Gnade zeigt, wo sie ohnehin total verkotet sind, kann er auf dem Rückweg getrost noch alles mitnehmen, was sich bietet, um wirklich alles kennen zu lernen und nichts zu versäumen. Er kommt ab vom Weg und verliert sich in tiefsten Morast.
Der Mittlere jedoch sieht nur das Licht der brennenden Liebe seines Vaters, nach der es ihm verlangt. Er schaut allein auf das Licht. Zwar stürzt er noch gar manches Mal und kommt mitunter schwer vom Weg ab, beschmutzt sich weiterhin schlimm; doch der Blick auf das Licht lässt ihn immer wieder zurück auf den rechten Weg finden und immer näher nach Hause kommen; der Weg wird immer klarer ausgeleuchtet, so dass er immer weniger Fehltritte macht. Schließlich kommt er so nahe in die Kraft der pulsierenden Liebe, dass diese ihn gleichsam Flügel wachsen lässt und in die Höhen zum Palast des Vaters über alle Gipfel trägt.
In der gleichen Weise wird Christus denen, die im Vertrauen auf Seine Wirkkraft ihr geistliches Wachstum abwarten können, zu Seiner Zeit überirdische Kräfte verleihen. Manche wirken dann Wunder aus den Himmeln, andere wählen eine Rückkehr auf die Erde, um zu sehen, ob dies auch – Christus nachfolgend – in einem irdischen Dasein zu erreichen ist. So prüfe jeder bei sich selbst, ob er am Ende solch eine himmlische Reinkarnation ist. In jedem Falle ist Er, Christus, der Weg! Wer in Ihm ruht, wird von Ihm bewegt werden.
Dabei soll jeder Geduld mit sich haben. Gott wirkt unmerklich den geistlichen Wachstum, oft über viele Wiedergeburten. Keiner soll abschätzig von sich selbst reden, weil Er dadurch den verunehrt, der in ihm wohnt und mit Seiner einzigartigen, ewig unverwechselbaren Schöpfung höchst zufrieden ist. Nur dass man jedem hässlichen Entlein nicht immer gleich den wunderschönen Schwan ansieht, der aus ihm noch entwachsen soll.
Das ist es, was Christus Seinem Schüler mitgeben will, was dieser wiederum an seine Schüler weitergeben soll: Jeder ist einzigartig, eine wunderbare Schöpfung Gottes, welche Christus noch verherrlichen wird. Darum soll jeder an sich glauben, an den Christus in sich, wie in allen, und sich durch Fehl- und Rückschläge nicht in seinem Vertrauen auf Christus verunsichern lassen. Gewinner stürzen wie Verlierer; aber sie stehen immer wieder auf.
Schließlich führt der Weg nach oben immer zunächst nach unten: Ein weiser Baumeister, der einen Turm in die Höhe bauen will, macht immer erst einen Aushub in die Tiefe, um dem Turm Standfestigkeit zu verleihen.
Ebenso hat ein mächtiger Baum, dessen Krone in den Himmel ragt, ebenso eine verborgene Wurzelkrone, die in die Tiefe geht.
Das zeigt schon der Lebensweg des Josef Ben Jakob, wie auch der Weg Jesu, dass es Erhöhung nur über vorausgehende Erniedrigung geben kann. Kein Gotteskind kann sich diesem Weg entziehen, den die Gottheit selbst für sich in Ihrem eigenen Gotteskind Jesus erwählt hat, um so – im Werden Christi – Ihre ewige Heiligkeit und Herrlichkeit zu erlangen.
Dieser Weg hinunter ist der einzige Weg zum Heil, den Christus für alle voraus gegangen ist. Das ist das enge Nadelöhr, durch das alle Kamele Gottes in die Weiten Seiner Herrlichkeit gezogen werden, das Joch Christi und Sein göttliches Yoga, in das sich jeder fügen muss.
Ein Archäologe mag verlacht werden, wenn er nicht wie die anderen nach oben strebt, sondern in die Tiefe geht. Aber bei seinen Ausgrabungen, die ihn immer Größeres, Herrlicheres in den Tiefen des Drecks finden lassen, erfreuen ihn immer mehr, je weiter es hinunter geht. In dieser Einstellung soll sich jeder den Tiefen stellen, in die Christus ihn führen will.
Es gibt keine Höhe ohne Tiefe, keine Erhabenheit ohne Niedrigkeit, kein „Hinauf“ ohne „Hinunter“, kein „Hinein“ ohne „Hinaus“, es gibt nicht das absolut Neue, ohne ein Zerschlagen-Werden, den vorherigen Zerbruch des Alten.
Der wahrhaft Weise stöhnt darum nicht darüber, wenn ihn sein Weg zunächst hinunter in das Dunkel führt, in dem Gott wohnt, und wenn er durch die Erkenntnis gedemütigt wird, dass das Göttliche viel unendlicher und größer ist, als er sich bislang ausmalen konnte. Er grämt sich auch nicht darüber, wenn keiner von seinen neueren Erkenntnissen hören will, wie es schon immer bei den Erleuchteten war, weil jeder selbst durch Zerbruch zur Erkenntnis geführt werden muss. Irgendwann, ganz unten in der Tiefe stößt der Erleuchtete dann aber schließlich auf die Ölader, die ihn in einer Fontäne mit nach oben reißt.
Dann auch ist die Zeit des Suchens und Studierens vorbei, das angesichts der Unendlichkeit der Gottheit nie an ein Ende käme. Wer schließlich dies eine erkannt hat, dass nichts über die Erkenntnis der göttlichen Liebe geht, den will diese Liebe wieder ins Leben führen, um Liebe zu geben und so zu empfangen.
Nochmals betont Christus, dass es dabei wichtig ist, dass jede Seele dem ihr eingeborenen Werk, ihrer Bestimmung, nach zu kommen sucht, auch wenn dies mit Mängeln behaftet ist. Es gibt kein Feuer ohne Rauchdampf. In den eigenen Schwächen liegen zugleich auch immer die eigenen Stärken. Darum soll man seinen Neigungen nachgehen und seine Wunschträume für die eigene Lebensgestaltung, worin man Erfüllung sieht, nicht für anmaßend halten, sondern zuversichtlich verfolgen.
Gott offenbart sich durch Unzulänglichkeiten – ein Anstoß für alle Perfektionisten. So ist schon Sein Gotteswort zugleich Menschenwort, behaftet mit menschlichen Mängeln, etwa historischen Ungenauigkeiten in der Überlieferung Seines Heilswirkens in Christus aus verschiedenen menschlichen Perspektiven. In der Unvollkommenheit kommt das Vollkommene zur Vollendung. Darum soll sich jeder gerade schon in seiner Unvollkommenheit im Licht der göttlichen Liebe doch als vollkommen erachten.
Wer die göttliche Liebe des Christus als höchsten Sinn und Ziel seines Lebens erkannt hat, wird froh und frei von allem irdischen Blendwerk. Der geht ganz ein und auf in der göttlichen Liebe, in den zieht sie in ihrer ganzen dreieinigen Fülle ein. Er wird gleichsam selbst zu einem „Buddha“, einem „Erleuchteten“, zu einem „Christus“, einem „Geist-Gesalbten“, geht ganz ein und auf in der Liebe der Gottheit, die dann durch ihn strahlt. Er wird zu einem Fenster zum Himmel, ja einem Tor, durch das andere in die Himmel eingehen können.
Ihn erfüllt Liebe, die „Purushottama“, die „göttliche Ur- und All-Seele“ mit Ihrem Willen zum Guten; er sucht beständig die Gemeinschaft mit der göttlichen Liebe, zieht sich aus der Welt zurück, um sich aus dieser Liebe wieder für sein Wirken in der Welt ausrichten zu lassen. Diese Liebe führt in die Demut und Entsagung, befreit von Eigensinn, lässt das universale „Wir“ erkennen und darin leben, vordergründige Widrigkeiten und Unzulänglichkeiten belächeln, heiter auf die Allaussöhnung hoffen.
Dieser göttlichen Liebe gilt es, das ganze Leben zu weihen. Wer sich Ihr in seiner trotzigen Ichhaftigkeit widersetzt, wird leidvolle Umwege zu Ihr gehen müssen. Niemand kann sich dem ringenden Kampf um das Wahre entziehen, der das irdische Dasein ausmacht, in das alles Geschöpfliche zu seiner göttlichen Ausreifung geworfen ist. Alle Wesen sind dazu berufen, „Israel“ zu sein: „Gottes-Kämpfer“, die das Überwinden lernen müssen.
Die Gottheit wohnt allen Herzen inne und bewegt alles. Alles, was widerfährt, dient der Ausreifung. Darum gilt es, diese Liebe zu erkennen, zu Ihr Zuflucht zu nehmen, indem man die Zusprüche der Liebe im Herzen bewegt und sich in ihnen versenkt, bis sie bewegen. Dann geht man schnell auf in dieser Liebe, wird durch sie froh und frei.
Das ist das allergeheimste Christusmysterium, dass vielen so verborgen und doch allen so unendlich nah ist: Jedes Geschöpf ist unendlich geliebt und könnte in dieser Liebe allumfassende Freiheit finden. Dieses Mysterium muss von den Erleuchteten aber recht verwaltet werden: Es kann und darf nur denen enthüllt werden, die dafür bereit sind. Perlen wirft man nicht vor Säue, auch reicht man Kindern keine feste Speise. So darf das Geistliche nicht dem Fleisch wie auch nicht mehr Fleischliches dem Geist gereicht werden.
Ein wahrer Lehrer ist darum mehr ein Mann des Hörens und Schweigens, der sich zusammen mit seinen Schülern als Noch-Lernender begreift. Er erwägt jedes Wort genau ab, bevor über es seine Lippen geht, und siebt es durch sieben Siebe: Wendet das Wort Not ab? Ist es einfühlsam? Ist es wahr? Ist es aufrichtig und gerecht? Ist es in der Bewährung erprobt? Ist es verständlich und nachvollziehbar? Ist es gefragt und gewünscht?
Wer so in Wort und Tat sein inneres Licht der Liebe weitergibt, dessen Leben wird von Licht und Liebe erfüllt. Denn ein solcher ist der göttlichen Liebe herzlich lieb.
→ zum Original-Kapitel XVIII.III in der »Satya ›P‹raha«
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