5 »We-go« oder »Ego«, alles oder nichts
→ Die Antwort: Einstimmung /Covertext
→ Die Antwort: Vorwort
→ Die Antwort: Inhaltsübersicht
→ zum letzten Kapitel
→ zum nächsten Kapitel
Kapitel 5 „We-go oder Ego, alles oder nichts“ beschreibt den Weg, den ein Gott-Suchender beschreiten sollte, um die Lösung von jedweder Welt- und Selbst-Verhaftung zu erlangen, um sich sodann, von seinem „Ego“ befreit, rückhaltslos in liebender Hingabe dem universalen „We-go“ zuwenden zu können, das, von der göttlichen Liebe angezogen, der vollumfänglichen Einheit im Liebesverbund aller mit allen zustrebt.
Der Schüler hat noch nicht ganz verstanden, wie das zusammengehen soll: dem Wirken entsagen und dadurch gerade wirken, sich von der Welt lösen und dadurch ganz eingehen und aufgehen in der Welt. Geht nicht nur eines von beiden: völlige Weltentsagung oder ein Leben in der Welt und für die Welt? Man kann doch nicht gleichzeitig zwei Herren dienen! Darum will er eine klare Entscheidung, was besser ist: Sich in die Welt mit ihrer Geschäftigkeit geben, oder ihr völlig entsagen.
Christus erklärt, dass beide Wege beschritten werden können – der in die Welt, wie der aus der Welt. Wer die Welt aber nicht fürchtet, sich in sie hinein geben kann, ohne ihren Verführungen und Versuchungen zu erliegen, weist mehr innere Stärke und Standfestigkeit auf, als der, der die Welt fliehen muss.
So ist es gut, am Anfang den Weg des „Sanyasa“, der Entsagung und des Rückzugs aus der Welt, zu beschreiten, um sich auf das Eigentliche, Wesentliche konzentrieren zu lernen. Deshalb tun die Buddhisten gut daran, ihre Kinder zu ihrer Reifung für eine gewisse Zeit in Klosterschulen zu geben und der Obhut von Mönchen anzuvertrauen. Ebenso zog es alle geist-ergriffenen Propheten zunächst in die Wüste, weil in ihr die Klarheit so deutlich zu Tage tritt, wie an keinem anderen Ort. Wenn sie hier aber gereift sind, werden sie von dem selben Geist mitten ins Leben der Welt zurück entlassen und gesandt.
Der höchste „Sanyasin“, der allen Werken entsagt, ist zugleich der höchste „Yogin“, der vollendet wirkt. Ein solcher ruht gänzlich in Gott und wirkt allein, was er diesen wirken sieht. So setzt er die unmittelbare Schöpfer- und Erlöserkraft Gottes frei, die aus ihm wirkt, ohne dass er selbst wirkt. Jedes Werk, das nicht in solcher Einheit mit Christus getan wird, bliebe besser ungetan.
Ein Erleuchteter ist in die Ruhe Gottes eingegangen, weil er weiß, dass Gott bereits alles Heilsbedeutende gewirkt hat und wirkt. Ein solcher gleicht einer Quelle, die ruht, und aus der doch beständig wirksames Lebenswasser sprudelt. Von einem solchen geht eine gewisse Zugkraft aus, weil sich die ganze rastlose Welt nach der Ruhe sehnt, die in ihm ist.
Ein Erleuchteter weiß, dass die Gottheit bereits alles vollbracht hat, darum hat er Ruhe und Frieden in allem, was er tut, ungeachtet seines Erfolges. Auch hadert ein solcher nicht mit seinem Schicksal, weil er weiß, dass alles nur seiner Ausreifung dient. Schließlich weiß er, dass in dem Opfer des Ohnmächtigen oft mehr wandelnde Kraft liegt, als in der Gewalt der Machthaber – wie es sich schon in Christus gezeigt hat.
„Sankya“, also „Sanyasa“, „Werk-Entsagung“, und „Yoga“, also „Wirken“, sind für den Erleuchteten keine wirklichen Gegensätze, da er weiß, dass ein in Gott-Ruhender gleichsam in seinem Ruhen wirkt und durch sein Gebet göttliche Wirkkräfte freisetzt, wie ein in Gott Wirkender zugleich in Gott ruht.
Gleichwohl ist wahre „Sankya“, völlige „Entsagung“, ohne „Yoga“, „Wirken“, schwer zu erlangen – und häufig nichts als fauler Selbst- und Welt-Betrug. Denn in einem Flussbett, welches das empfangene Lebenswasser nicht weiter gibt, kommt der Fluss des Lebenswassers zum Erliegen. Das Wasser steht, kippt, und alles Leben in ihm erstirbt. Darum gehört „Sankya“ und „Yoga“ untrennbar zusammen. Und wer sich von der Welt durchfüttern lassen will, um sich seiner reinen Geistlichkeit hinzugeben, ist in Wahrheit faul und betrügt sich selbst ebenso, wie die Welt.
Der Erleuchtete erfährt sich in allem in völliger Einheit mit Gott und weiß, dass sein eigenes Wirken letztendlich auch allein Gottes Wirken ist. So kann er von sich sagen „Ich wirke eigentlich garnicht, sondern es ist alles Gott“. Diese Erkenntnis gibt ihm innere Ruhe und Gelassenheit, Seelenfrieden in Gott. Es befreit ihn von dem Trug des Augenscheinlichen, das alles – isoliert von allem anderen – für sich selbst wirkt. Ihm kann sich der trügerische Schein, alles wäre auf sich selbst zurück geworfen, der jedes Wesen tatsächlich auf sich selbst zurück wirft, so kaum anheften, sondern muss von ihm abperlen wie verschmutztes Wasser an ein Lotusblatt. In der Konzentration seines Mentals auf den Herrn, der dem Erleuchteten alles geworden ist, löst er sich aus der Verhaftung an Tätigkeiten, Dinge und Seelen. Denn er erfährt sich in einer universalen Verbundenheit aller in der göttlichen Liebe aufgehoben, was ihn in dieser Liebe mitfühlend mit allen Wesen macht. Sein kleines erbärmliches „Ego“ geht gleichsam auf in dem großen „We-go“ des ganzen „Uni-versums“, das – von Christi Liebe gezogen – sich auf die allumfassende Einheit in dem Einen zubewegt.
Eine Seele, die sich vollends mit der Christus-Seele verbunden erfährt, ist innerlich schon versetzt in das Himmelreich, die Ewigkeit, und nimmt die Außenwelt nur wie einen flüchtigen Schatten, als eine Erinnerung der Anfänge von allem, wahr, da solch eine Seele in sich die unerschütterliche Gewissheit trägt, dass in Christus bereits alles für alle vollbracht und erwirkt ist. Sie erfährt sich darum nicht mehr auf sich selbst zurück geworfen und von irgendeinem Verdienst-Gedanken geknechtet. Wehe aber jeder Seele, die noch an ihrem Fleisch, ihrer gegenwärtigen, vergänglichen irdischen Existenz hängt, weil in ihr der Geist Gottes noch nicht Seinen inneren Sitz einnehmen konnte.
Wenngleich Gottes Ratschluss alles durchwaltet und setzt, so dass letztendlich Er es ist, der alles in allem wirkt, so nimmt Er doch zugleich von niemanden Tugend oder gar Sünde an, als ob Er es wäre, der sündigte und gottlos in Seinen Geschöpfen handelte. Vielmehr lässt Er, was Er von Ewigkeit Seine Geschöpfe in den Anfängen ihres Werdens tun sieht, in der Wahrhaftigkeit Seines Wesens auch Realität werden. Auch die Gesetzmäßigkeiten des Karmas, dass alles Tun immer seine Konsequenzen hat, wirkt Er nicht im Sinne einer (gar emotional aufgeladenen) Reaktion auf unser Handeln. Es ist vielmehr eine Seinem Wesen und Seiner Natur innewohnende Kraft und Gesetzmäßigkeit, die dies von selbst bewirkt und aller Taten folgenden Konsequenzen herbeiführt. Und wiewohl die Schöpferseele in all ihren geschöpflichen Seelen unmittelbar mitleidet und mitfühlt, sind diese unendlichen Qualen im universalen Gottesempfinden doch zugleich bereits verschlungen von den ewigen Glückseligkeiten, welche alle erlangen. So bleibt Gott bei aller unmittelbaren Innewohnung in Seiner Schöpfung zugleich doch auch völlig unantastbar darüber erhaben, jenseitig, transzendent.
Zunächst sind alle Wesen von Umnachtung umfangen. Wenn sich ihnen aber ihre innere Verbundenheit mit dem allgegenwärtigen Brahman, dem Urgrund von allem, erschließt, der zugleich frei ist von allem, in dem alle vordergründigen Gegensätze ihre Aufhebung erfahren, werden auch sie innerlich frei und gelöst. Ihr „Ego“ löst sich auf in Brahman, wie Salzkristalle im Wasser: War das in sich gebundene Salz für sich zuvor todbringend, so verhindert es im Zustand seiner Auflösung, dass das Meerwasser kippt und erhält es am Leben. Ebenso wendet sich der Brahmane aus der Erfahrung des Einsseins mit allem in Ausgewogenheit sowohl jeder Kreatur, wie auch sich selbst in hingebungsvoller Liebe zu. Sein „Ego“ ist aufgegangen im großen „We-go“. Ein Handeln in solcher Liebe ist ohne Fehl.
Ein Brahmane, der sich in allem unmittelbar mit dem Brahman-Christus verbunden fühlt, teilt sich diesem auch unmittelbar mit. Er wendet sich mit seinen Problemen nur selten an Menschen oder Heilige. Auch macht er nicht viel Aufhebens und Worte gegenüber dem Höchsten, weiß er doch darum, dass dieser um alles schon weiß und alles recht hinaus führt.
Das heißt nicht, dass ein solch Erleuchteter keine Emotionen mehr hätte, nicht auch Mitleid und Angefochtenheit erleben könnte. Er überwindet solche Erregungszustände jedoch ebenso schnell, wie ein Kind, das sich geborgen weiß, und zugleich wie ein lebenserfahrener Greis, der gleichsam schon jenseits von „Gut“ und „Böse“ ist, schon alles durchlitten hat und darum um den Sinn und Ausgang von allem weiß.
Ein Erleuchteter ist also bei allem Gleichmut doch nicht etwa emotionslos: Er empfindet unentwegt tiefe Freude über die frei sich schenkende göttliche Liebe und ihre Gaben, die er in kindlicher Unverschämtheit auch genießt; zugleich leidet er, wie die Gottheit selbst, an der Unwissenheit und Unkenntnis der noch Unerlösten, die ihnen so viel Kummer bereitet, und ist von Retterliebe beseelt, die deren Heil und die Aussöhnung aller herbei führen will, wie von der wehmütigen Sehnsucht, dass dies möglichst bald geschehen mag. All diese Kümmernis ist jedoch zugleich wiederum verschlungen von der ewigen Glückseligkeit, die in Christus ist, wie dem Wissen darum, dass diese nicht anders als durch leidvolle Ausreifungsprozesse herbeigeführt werden kann.
Da die Gottheit aber um den Ausgang von allem, wie die Notwendigkeit des Leidens für die Ausreifung zu einem selbstlosen aufopferungsbereiten Liebeswesen weiß, lässt Sie sich in Ihrem Ratschluss, dass es so und nicht anders herbei geführt werden soll, als durch die leidvollen Prozesse, durch die alle Wesen hindurch müssen, von niemanden beirren, auch wenn Sie dafür von all ihren Geschöpfen als kalt und herzlos, unerweichlich und mitleidlos verkannt wird. So erfährt die Christus-Seele, wie keine andere, die Ausgestoßenheit von allen, was sie mit allen Ausgestoßenen mitfühlen lässt. In Ihrem Kreuz vereinigen sich aller Welt Kreuze, denn die göttliche Liebe hat Anteil an allem irdischen Leiden. Sie hat so tiefes Verstehen, dass sie sogar die sündigen Handlungen ihrer Geschöpfe in ihrer Unwissenheit nach- und mitvollziehen kann, davon jedoch nicht beirrt und verunreinigt wird.
Der Erleuchtete hängt sein Herz nicht mehr an flüchtige Glückseligkeiten, im Wissen, dass diesen immer nur der Schmerz des Verlustes folgen kann, sondern an die viel tiefere Glückseligkeit der göttlichen Liebe, die ewig währt und die ihm niemand mehr nehmen kann. Er ist darum ein „Yogin“, ein „Joch-Bemeisterer“; und sein Geschick, das er als Joch Christi erfährt, wird ihm leicht.
Sein „Ego“ hat sich gleichsam aufgelöst in Brahman. Dieses Vergehen des „Ego´s“ fürchten die Unkundigen als „Nirvana“, als völliges „Nichts“. In Wirklichkeit aber ist es die Auflösung im „Alles“, eine Unbeschreiblichkeit, die sich niemand erdenken kann, und darum von den Unwissenden als „Nichts“ wahrgenommen wird.
Wer diesen verborgenen Schatz in sich gefunden hat und darum alles einsetzt, um ihn zu halten, zu bergen und zu gewinnen, löst sich von allem, was ihn von dieser Schau ablenken könnte, und versenkt sich durch bewusste Hineingabe in die All-Durchatmung durch eine bestimmte Atemtechnik auf die Gottesschau. In der Schau Christi erlangt er umfassende Freiheit. Solch ein Opfer der liebenden Selbst-Hingabe an die göttliche Liebe ist Gott wohlgefällig und angenehm.
→ zum Original-Kapitel V in der »Satya ›P‹raha«
→ zum nächsten Kapitel