6 »Ich« und »Selbst«

(Bhagavadgita VI,1-47)

Jeder Mensch ist irgendwie „schizophren“, psychisch krank, in sich gespalten,
uneins mit sich selbst. Wie kommen wir in die innere Einheit
zu einem rechten, gelingenden authentischen Leben?
Nur durch den mutigen, ungenierten, sich-ein-geständigen Blick
auf die wahren Gegebenheiten unserer Bestimmtheiten,
allein möglich in der Gewissheit der uns allen geltenden
göttlichen Barmherzigkeit und unverlierbaren Gnade.

Wie bemeistert man den inneren Zwiespalt zwischen „Geist“ und „Fleisch“,
zwischen „Brahman-Atman“ und „dehin-deha“?

Das vom göttlichen Ratschluss gesetzte Schicksal, mit dem viele hadern,
wurde von allen Gottes-Seelen aus ihrer Vollendung heraus
selbst begrüßt und gesetzt.

Saul-Saulus, der noch zum Paulus wurde: –
– ein Hoffnungszeichen für alle verlorenen Seelen:
Wen die göttliche Liebe erwählt hat, den hat Sie erwählt! –
– Und was jener allerschlimmsten Seele des Saul-Saulus gilt, gilt allen!

Ein Lehrbuch zur Freiheit – wirklich Labsal für die Seele –
eine Leitschnur zu einem gänzlich unverkrampften
profanen wie doch gott-zugewandten Leben:

Mir wurde bewusst: rechte Theologie ist im letzten nichts
als behutsame seelsorgerische Psychologie,
und rechte Psychologie muss umgekehrt wurzeln
im spirituellen Tiefblick von Gottheit, Welt und Selbst.

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Kapitel 6 „Ich und Selbst“ widmet sich vorwiegend der Erörterung der Frage, wie man aus seinem in Christus wieder-ein-geborenen göttlichen „Selbst“, das eins mit Christus ist und das man als seine ur-sprünglichste, ur-eigenste Identität erkennt, sein kleines erbärmliches „Ego“, das noch immer von seiner unseligen Ich-Verhaftung bestimmt ist, bemeistern lernt. Ganz entscheidend ist hierbei immer wieder die Besinnung auf die un-endliche, un-bedingte und damit un-verlierbare Liebe Christi, die Gelassenheit und Geduld mit sich selbst auf dem weiten Weg zur Selbst-Bemeisterung schenkt und schließlich allmähliches Reifen zum Überwinden hin freisetzt.

Der wahrhaft in Christus Erleuchtete wirkt, ohne auf den Erfolg seines Wirkens zu schielen. Wer den Wert seiner Verkündigung an der Zahl der Seelen misst, die sie annehmen, ist nicht geschickt zum Evangelistendienst.

Denn es gibt Zeiten der Saat wie der Ernte. So wurden beispielsweise die Propheten von ihren Zeitgenossen abgelehnt, bereiteten aber doch auf lange Sicht das Kommen des Herrn vor. Auch gibt es fruchtbaren wie unfruchtbaren Boden. So war die Verkündigung des Reiches Gottes durch den Herrn selber bei Seinem eigenen Volk erfolglos, dafür aber trat sie ihren Siegeszug in der ganzen Welt an.

Wer um die Kraft der göttlichen Saat weiß, der sät sie einfach aus, ohne auf ihr Aufgehen zu warten; auch biedert er sich bei niemanden an, wirft keine Perlen vor Säue, sondern wendet sich von denen ab, die nichts hören wollen, denen zu, denen nach Erlösung verlangt. So überlässt er das Aufgehen der göttlichen Saat, dem, von den sie kommt: Christus, Gott.

Ein von Christus Entzündeter legt die Hände nicht in den Schoß, weil er weiß, dass ja ohnehin alles für alle irgendwann gut wird, sondern wirkt im Feuer der Liebe und in der Gewissheit, dass Gott durch ihn, wie durch alle Seine Entflammten, heraufführen will, was Er an Heilvollem für ausnahmslos alle bestimmt hat, so dass der Christus-Gläubige zuversichtlich – im Wissen, dass Gott durch die Seinen wirkt – sein Werk verrichtet.

Der Weg zur Erkenntnis wird zwar nicht leicht beschritten – wie der Weg auf einen Berggipfel, von dem man schließlich alle Herrlichkeiten überschauen kann, das hat jedoch nichts mit Werk-Gerechtigkeit zu tun. Denn wer endlich Weisheit erlangt hat, der hat erkannt, dass es nur darum geht, zu kommen und zu nehmen – umsonst. Wer den Gipfel des Yogas schließlich erklommen hat, weiß sich in allem eins mit Christus-Brahman und beherrscht dadurch sein Mental, wird frei von allem Verlangen und allen Verhaftungen, ist vollends erfüllt in Gott.

Allerdings gilt dies nur für den Geist, der in Gottes Geist wieder eingetaucht, in ihm wiedergeboren und mit Gott verbunden ist; die Wiedergeburt des Fleisches, des sündenverfallenen Leibes, nämlich vollzieht sich erst bei der Auferstehung bei Christi Wiederkunft. So erfährt sich der Gläubige stärker noch als der natürliche Mensch in einem inneren Zwiespalt und Widerspruch zwischen seinem Geist und seinem Fleisch, so dass er nicht immer das Gute verwirklichen kann, was er eigentlich will.

Dieser Zwiespalt in allen Menschen zeigt jedoch schon ihre eigentlichen Ursprünge, ihre Herkunft aus Gott, wie denn auch schon das Wort „WIEDER-(Ein-) Geburt“ andeutet, dass sie lediglich in das wieder ein-geboren werden, in dem sie ursprünglich waren, aus dem sie gefallen sind. Da diese Ursprünge jedoch in der Ewigkeit liegen, bestehen sie zeitlos – und somit auch zu jeder Zeit.

Dieses Phänomen der inneren Widersprüchlichkeit kennt auch die Psychologie: Sigmund Freud sah das „Ich“ des Menschen zwischen der moralischen Norm seines „Über-Ich“ und seinem triebhaften „Es“, Carl Gustav Jung wusste um ein „bewusstes Ich“, das meist das Leben bestimmt, und ein weit älteres „unbewusstes Selbst“, das die Führung übernehmen muss, um eine Existenz in ihr Heil zu führen.

Apostel Paulus spricht davon, dass der Geist in und aus der Vereinigung mit dem Geist Gottes das Fleisch bezwingen muss, die Hindus davon, das „Atman“, das „höhere Selbst“, das in „Brahman“ aufgegangen ist, das „niedere Selbst“ aus dieser Verbundenheit in der Gottes-Identität bemeistern lernen muss – nämlich „dehin“, die zeitliche Seele, in welcher „Atman“, der „Geist“ seinen Sitz hat, und „deha“, den mit Schwächen behafteten Körper, in welchem „dehin“, die Seele, ihren Sitz hat.

Nun folgt eine praktische Anleitung zur Bemeisterung des niederen durch das höhere Selbst: Letzteres muss mit ersterem geduldig und nachsichtig umgehen, wie ein Vater mit seinem Sohn, ein Lehrer mit seinem Schüler, um es nicht zu überfordern, zu entmutigen oder zum Aufbegehren zu reizen. Es soll keineswegs unter Druck gesetzt und unterdrückt werden. Der erste Schritt besteht darin, sich sein niederes Selbst einzugestehen und zu akzeptieren. Es darf nicht gewaltsam unterdrückt werden. Sonst entgleitet es wie ein Korken, den man unter die Wasseroberfläche drückt, oder wie ein sich auflehnendes wildes Pferd, das man zu brechen sucht. Eine zarte Pflanze, an der man ständig zieht, entwurzelt man.

Von einem Kind kann man nicht ebenso fordern, wie von einem Erwachsenen, ja, man kann ihm nicht einmal die selbe Speise wie einem Erwachsenen geben. Junge Schafe, die man zu schnell treibt, richtet man zugrunde. Darum gilt es, das untere Selbst mit Nachsicht und Geduld zu erziehen. Es gilt, selbst immerfort aus der unendlichen Gnade Christi zu leben und darauf zu vertrauen, dass diese Gnade jeden reifen lässt. Darin muss das Herz fest werden: Alles ist Gnade!

Wie ein Jüngling nicht seinen Bartwuchs, ein junges Mädchen nicht die Ausreifung ihrer Brüste beeinflussen kann, sondern Geduld aufbringen muss, bis sie von selbst wachsen, so jeder in Christus Neugeborene mit seiner geistlichen Ausreifung. Darum gilt es, die Geduld und den Glauben, den man für andere hat, auch für sich selbst und mit sich selbst zu haben.

Es gilt, das niedere Selbst wie ein Fahrzeug aus unwirtlichem Gelände zu führen. Man muss zunächst langsam fahren und den Biegungen der Straße folgen, will man sein Gefährt nicht an den Baum setzen. Erst wenn man die Schnellstraße erreicht hat und seinen Wagen beherrscht, kann man richtig Fahrt aufnehmen.

Das heißt nicht, dass man allen fleischlichen Regungen immer gleich einfach nachgeben müsste. Man kann sie auch einfach ins Leere laufen lassen, wie trotzige Schüler, die man am besten einfach ignoriert. So gilt es, die Regungen des unteren Selbst wie trotzig-aufbegehrende Schüler zu führen, freundlich, geduldig als Freund aufzutreten, ihnen aber auch nicht jede Frechheit und Ungehörigkeit durchgehen zu lassen. Bei allem aber ist eine Engelsgeduld unerlässlich, so wie sie der Herr gegen uns aufbringt.

Schließlich muss auch beachtet werden, dass in den besonderen Schwächen des niederen Selbst zugleich auch deren besonderen Stärken liegen. Wer also das untere Selbst brechen will, statt es zu fördern und geduldig zu leiten, der unterdrückt auch die Besonderheiten des Selbst, die es zu ergründen und zu fördern gilt. Die Schwäche des niederen Selbst ist nur, dass es kein Maß kennt, nur sein eigenes unersättliches Begehren, das es blind-wütig ich-süchtig verfolgt und dadurch dem Gemeinwesen, wie auch sich selbst, schadet. Darum muss es vom höheren Selbst zur Mäßigung angehalten und erzogen werden.

Man sollte sich jedoch hüten, auf dem eigenen Acker vor der Zeit das Unkraut jäten zu wollen, damit man damit nicht zugleich heilige Triebe ausreißt, die sich von unreinen Wucherungen anfangs oft nicht unterscheiden. Es gilt, alles getrost wachsen zu lassen bis zur Zeit der Ernte. Dann wird die Auslese auf dem eigenen Acker ein Leichtes sein.

Die Beschäftigung mit dem Heiligen hilft, sich von dem, was nichtig und wertlos ist, ganz von selbst zu lösen: Es ist förderlich, die heiligen Schriften nach ihren aufrichtenden Worten der Gnade auszuforschen, geistliche Gemeinschaft mit anderen Gläubigen zu pflegen, sich in Meditation und Gottesschau zu üben, bis man dahin gelangt, in seinen eigenen Tiefen das Taborlicht des verklärten Christus zu erblicken, und sich durch inneren Sprachengesang mit der überschwänglichen Liebe Christi anfüllen zu lassen, bis sie schließlich überfließt.

Jede Seele gleicht einem See: Solange dieser aufgewühlt wird von den über ihn hinweg ziehenden Stürmen, kann man in ihm nichts erkennen. Wenn er aber zur Ruhe kommt, wird seine Oberfläche glatt und glas-klar. Dann kann man in dem See bis auf den Grund sehen, und findet in ihm zugleich das ganze All gespiegelt wieder. So kann eine Seele, die in Christus zur Ruhe kommt, in sich selbst bis auf den tiefsten Grund blicken und findet in sich selbst das ganze All und den liebenden Urgrund allen Seins.

Wer sich nach dem Heiligen ausstreckt, wird zunehmend nach ihm Verlangen entwickeln, so dass alles andere ganz automatisch in den Hintergrund tritt und abnimmt. Dabei sollte man nur das aus dem Wort Gottes aufnehmen, was man davon auch seinen kleinen Kindern weitergeben würde. Was man daraus einem kleinen Kind nicht zumuten kann, ist auch nicht weitergebenswert – aus dem Fleisch für das Fleisch gesprochen, dass es an seiner Fleischlichkeit zugrunde geht. Allein, was ermutigt, aufrichtet, das Vertrauen und die Hoffnung stärkt, ist aus dem Geist Christi.

Zurückhaltung in der Ernährung hilft, den Leib zu bemeistern. Darum sollte man über den Tag möglichst wenig, nur Obst oder garnichts essen und erst am Abend nach Herzenslust speisen. Die Aussicht auf das gute Nachtmahl hilft, sich über den Tag zurück zu halten, da man das gute Essen noch vor sich hat. Außerdem steigert zuvor geübte Enthaltsamkeit den Genuss und schafft zusätzlich Vorfreude. Übersättigung dagegen schafft Überdruss und mindert die Lebensfreude. Schließlich lässt Maßhalten in der Ernährung auch die ursprüngliche schöne gott-gegebene Form unter der schwindenden Fettschicht wieder zum Vorschein kommen.

Maßhalten ist luststeigernd in allem. Darum sollte man sich in keiner Tätigkeit festbeißen, sondern seinen Alltag möglichst abwechslungsreich gestalten. Auch im Ruhenlassen liegt schöpferische Kraft.

In Hinblick auf den Besitz kann man von Hans im Glück lernen, der umso glücklicher, ungebundener und freier wurde, je weniger er besaß. Besser ist es, weniger zu arbeiten und weniger zu haben, und dafür mehr zu leben. Wer meint, er müsse die müßige Welt retten, sollte sich lieber von ihr retten lassen.

Der Herr erzählt von einem sehr lehrreichen Spiel Seines Apostels Johannes mit einer Henne: Als der von einem Jäger dafür gemaßregelt wird, wie er denn seine wertvolle Zeit so vergeuden könne, habe er doch den Auftrag der Weltmission erhalten, fragt Johannes den Jäger nach seinem Bogen, warum dieser nicht angespannt sei. Der Jäger erklärt, er würde nur zum Schießen angespannt, sonst würde er seine Spannkraft verlieren, worauf Johannes erklärt, darum entspanne er sich nun im törichten Spiel mit jener Henne.

Mit dieser Geschichte erklärt der Herr, dass auch Zeit der Entspannung und Zerstreuung wichtig ist. Er selbst habe Seinen Jüngern geboten, sich nicht aufzubrauchen und immer wieder auch Ruhe und Erholung zu suchen, ja, Er selbst – obwohl Er doch der Sohn war – zog sich oft von der beständig nach Ihm verlangenden Menge zurück, um für sich allein in der Abgeschiedenheit Erbauung in der liebevollen Nähe Seines himmlischen Vaters zu suchen.

Insofern sollten die Gläubigen auch das Sabbat-Gebot beachten – denn der Sabbat ist für den Menschen gemacht, und ohne Phasen der Ruhe kommt der Mensch um, ebenso wie er Gott braucht, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Denn Christus allein in Seiner un-bedingten, bedingungs-losen und damit un-verlierbaren Liebe, die einzig das Herz zur Ruhe kommen lassen kann, ist aller Welt Sabbat.

Das höhere Selbst sollte also mit dem niederen Selbst so viel Nachsicht haben, wie ein Weiser mit seinem Schüler, ja, diesem sogar Freizügigkeiten für errungene Fortschritte gewähren, auch wenn diese nicht immer der heiligen Norm entsprechen. Es gilt, sich die eigene Unzulänglichkeit und Bedürftigkeit einzugestehen. Sonst ist man nicht wahrhaftig mit sich selbst und heuchelt sich etwas vor. Es gilt also nach wie vor der Rat Luthers: „Sündige tapfer!“

In Hinblick auf die fleischlichen Gelüste, die nur überaus schwer zu bemeistern sind, hat Christus größtmögliche Freiheit eingeräumt. Wer im Vertrauen auf die Gnade mit seiner fleischlichen Unzulänglichkeit nachsichtig umgeht, sündigt nicht.

So ist es beispielsweise besser, sich selbst zu befriedigen, als einen vermeintlich „heiligen“ Bund mit der nächstbesten Seele einzugehen, nur um seinen Lüsten auf diese selbstbetrügerische, vermeintlich rechte, `heilige´ Weise Abhilfe zu verschaffen. Bei der Partnerwahl sollte man sich die Mutter der Tochter, den Vater des Sohnes genau anschauen, denn meist ist oder wird die zukünftige Partnerseele diesen sehr ähnlich. Denn jede Seele geht in ihrer Wiedergeburt in eine karmische Verbindung, welche ihrer bisherigen Charakterbildung entspricht, so dass sie ihr gemäß ihre weitere Prägung erfährt.

In der Partnerwahl sollte man sich nicht von trügerischen Äußerlichkeiten leiten lassen, die schnell vergehen. Denn man ist nicht mit einem schönen Gesicht, einer guten Figur verbunden, sondern vielmehr mit einem Charakter! Wehe dem, wenn dieser schlecht ist und noch unter einem schlechten Karma steht! In Hinblick auf den rechten Partner sollte man auch den Rat derer beherzigen, auf welche man aufsieht.

So ist es immer noch besser, in Ehrlichkeit mit sich selbst eine Hure aufzusuchen, als aus Heuchelei und Selbstbetrug eine Hure zu heiraten. Wer so handelt, führt nicht in der Weisheit seines Geistes sein schwaches Fleisch, sondern lässt vielmehr seinen Geist vom Fleisch leiten. Hier sollte man sich an den Bischöfen ein Beispiel nehmen, die sich selbst zu ihren Konzilien Huren karren ließen. Sie stellten ein erfolgloses Ringen um ihre vermeintliche Heiligkeit zurück, um sich den anstehenden brisanten Fragen der Kirche widmen zu können; und da sie dies im Vertrauen auf die Güte und Langmut ihres Herren taten, waren sie darin gerechtfertigt.

Eine Handlung an sich ist niemals Sünde, auch wenn sie nach geltender Norm sündig erscheinen mag; allein, in welchem Geist sie vollzogen wird, entscheidet darüber, ob Sünde vorliegt: nämlich, ob in Unglauben oder in Glauben gehandelt wird. Denn auch wenn wir unerträglich werden, will der Herr uns doch tragen.

Der Erleuchtete weiß darum, dass die Wiedergeburt seines Fleisches, die sich erst in der Auferstehung vollziehen wird, noch aussteht, und er nur im Geist wiedergeboren ist. Darum ist er auch darüber ernüchtert, dass seine Triebhaftigkeit ihm ein lebenslanger Begleiter bleiben wird, und leugnet seine Unzulänglichkeiten auf diesem Gebiet nicht. Allein, wer sich dies eingesteht, kann sein Fleisch in Nachsicht und Weisheit leiten, ohne sich insgeheim von seinem Fleisch leiten zu lassen.

Bei der geistlichen Aufforderung, das Fleisch zu überwinden, geht es also nicht darum, zu versuchen, dies in seinem Eigenleben zu verleugnen, zu unterdrücken und gänzlich auszulöschen, sondern es so in Weisheit zu leiten, dass man ihm nicht erliegt und gänzlich verfällt. Auch in der Leiblichkeit liegen gottgewollte Freuden und Genüsse, die man auskosten darf. Diese jedoch dürfen nicht zum einzigen Ziel und Lebensinhalt werden. Mit ihnen ist so umzugehen, dass sie im Zaum gehalten werden, indem ihnen ein gewisser Freiraum zugestanden wird, so dass sie die Entscheidungen des Geistes nicht mehr beeinträchtigen können.

Folglich geht es bei einem einsichtigen geist-geleiteten Gebrauch der eigenen Fleischlichkeit nicht um deren Überwindung hin zu einer Prüderie, die meint, die Glückseligkeiten der ersten Schöpfung, der auch alle Wiedergeborenen im Fleisch noch angehören, nicht mehr genießen zu dürfen, was sie selbst ungenießbar machen würde, sondern diese Freuden nicht mehr selbst-süchtig auszuleben und sich allein von ihnen bestimmen zu lassen, gleichwohl aber, sie sich wie auch anderen frei und nachsichtig zuzugestehen und zu schenken.

Christus ruft auf, in Sein Yoga zu treten, und von Ihm zu lernen, wie Er es ausgeübt hat: Immer wieder suchte Er in der Abgeschiedenheit die Gegenwart Seines liebenden Abba, konzentrierte Sein Herz aber auch im Alltag beständig auf die Gottheit, um aus Ihrer selbstlosen Liebe für alle heraus zu fühlen, zu denken und zu handeln. So wurde Er zu einem Fenster der göttlichen Ewigkeit, die in die Welt strahlte, zu einem Anziehungspunkt für alle. Wer nämlich in die Ruhe der Gottheit eingegangen ist, strahlt diese auch nach außen aus.

Wer Christus als sein höchstes Selbst und als die tiefste Tiefe von allem erkennt, als die eigentliche Ur-Identität von allem, kann in und aus dieser All-Verbundenheit von allem, die in Christus zeitlos schon besteht, völligen Seelenfrieden finden, der durch keine äußere Befindlichkeit mehr beeinträchtigt werden kann. Denn er erkennt und findet den liebenden Christus überall. Wer so Christus erkannt hat, ist inwendig bereits entrückt in die höchsten himmlischen Höhen, wo er mit Christus in der göttlichen Ruhe thront und alles durchschaut; denn ein solcher hat Christi Sinn erkannt, der alles mit Sinn erfüllt.

Wer so aller Zeit entrückt ist, ist zugleich aus der göttlichen Ruhe heraus ganz in der Gegenwart und weiß um den nächsten nötigen Schritt. Wer sich aber schon im Gegenwärtigen nicht findet, wo wird ein solcher im Zukünftigen sein?

Dieses Ruhen in Gott soll der Yogin in der Abgeschiedenheit im Yogasitz üben, indem er sich auf die liebende Gegenwart Gottes konzentriert und in dieser Haltung einfach beobachtet, was sich in ihm regt und bewegt. Ein Mantra über die göttliche Liebe, in der alles gründet und in die alles mündet, kann helfen.

Der Jünger Jesu fragt, ob nicht die angemessenere Gebetshaltung das Knien ist, oder gar, vor Gott auf dem Boden zu liegen. Der Herr erklärt, dass die Erfahrung Seiner zerschmetternden Heiligkeit dies durchaus herbei führen kann. Dennoch erwies Er selbst sich Seinen Jüngern als der allzeit Dienende, dem sie gelassen wie Geschwister begegnen konnten, was sie in Wahrheit auch sind. Denn sie sind ebenso wie Christus aus Gott, Ihm in allem ebenbürtig, weswegen Er sich nicht schämt, sie Seine Geschwister zu nennen. Darum müssen sie vor Ihm nicht zu Kreuze kriechen. Allein der Sklave, die Sklavin kniet; der Bruder, die Schwester sitzt.

Wer dies erkennt, hat unmittelbaren Zugang zu Gott und bedarf nicht einmal mehr der Mittlerschaft Christi. Denn wie Christus die Seinen liebt, so ebenfalls der Vater. Und wie Christus eins ist mit dem Vater, so ebenso mit den Seinen. Darum hat ein kindliches Herz in seiner Unschuld, welches allein die göttliche Liebe sucht, (auch ohne jedes Wissen um Christus) unmittelbaren Zugang zum innersten Herzen der Gottheit. In Gottes zeitlos-überzeitlicher Ewigkeit sind alle Wesen bereits in Christus mit der Gottheit vereint und leben dort schon als die Engel, die inneren Leitsterne, welche sie durch die Zeit geleiten.

Aufgrund dieser ewig bestehenden inneren Verbundenheit Christi, der Schöpfer-Seele, mit allen Seelen, waren auch alle Seelen – gleich Partikeln – in Ihm gegenwärtig in Seinem geschöpflich entäußerten Sein. So trug Christus in Seiner Entäußerung nicht nur die Sünden aller Welt, sondern in sich gleich Partikeln auch die Wesen aller Welt, so dass sie – ganz gemäß dem ewig, unauflöslichen göttlichen Gesetz – selbst in Christus für ihre eigenen Sünden sühnen mussten. So ist Christi Rechtfertigung zugleich die Selbst-Rechtfertigung Seiner ganzen Schöpfung selbst, und darum wiederum auch Seine Rechtfertigung als der Schöpfer einer gerechten Welt.

Das ist das Gebot Christi, zu erkennen, dass alles schon immer Gott ist, was nunmehr durch Seine Enthüllung ans Licht kommt. Entsprechend hat nicht nur Gott allein die Welt in ihren leidvollen Anfängen so in Existenz gerufen und begrüßt, wie sie ist, sondern in und mit Ihm alle Wesen aus ihrer Vollendung heraus – um der Wahrhaftigkeit und Selbst-Bewahrheitung der Gottheit willen, die nichts als selbstlose Liebe und reines Licht ist. Das sollte ein jedes Wesen bedenken, das wegen seines Schicksals mit Gott hadert. Es selbst hat dieses Schicksal schon in und mit Ihm aus dieser Ewigkeit heraus bejaht und begrüßt. Denn was daraus erwachsen wird, ist schon – wie alles, was ewig ist, – und ist aus dem gegenwärtig Zeitlichen erwachsen.

Das ist die göttliche Wahrheit, die von je her von allen Religiösen geleugnet und bekämpft wird: Alles ist fest in Christus und Christus in allem. Darum war es auch kein Akt falscher Demut, dass Christus sich gedemütigt hat, den Seinen die Füße zu waschen, denn sie sind Ihm wahrhaftig völlig eben-bürtig, wie Er gebürtig aus Gott. Und darum ist es auch nichts Großes, wenn die Seinen sich in der selben Demut für all die hingeben, die ihnen noch feind sind, wie sie selbst einst Christus feind waren. Denn auch jene sind nicht geringer, als sie selbst, und verdienen das selbe göttliche Opfer, dass die Gottheit in allen durch alle sich selbst entgegenbringt und als würdig erachtet.

Christus bewirkt, dass alle zur Liebe geläutert werden und in und aus Seiner Liebe ihr Heil selbst erwirken; auf diese Weise erfüllt sich auch das Gesetz im Evangelium der Gnade, das Karma im Dharma. So erweist die Gottheit sich gnädig in ihrem Gericht und gerecht in ihrer Gnade. Folglich wird das Gesetz durch die Gnade nicht aufgehoben, sondern aufgerichtet. Denn das Gesetz ist, wie auch die Gnade, nichts anderes als Liebe. Aus, in und zu dieser Liebe ist alles. Christus ist diese Liebe, die in ihrer vorbehaltlosen Zuneigung jedes Wesen schon ewig in sich sieht und sich in jedem Wesen. Und so wie Christus die göttliche Wirklichkeit beurteilt, soll sie auch von den Seinen beurteilt werden. Wer das erkannt hat, der liegt nicht im Staub vor dem Vater, sondern herrscht mit dem Vater.

In den göttlichen Einklang kommt man jedoch nur in innerer Ausgewogenheit, so wie – das lehrte Buddha – eine Seite nur in Schwingung versetzt werden kann, die weder zu stark noch zu locker gespannt ist. Wer so in die Gelassenheit Gottes, in Seine All-Durchatmung kommt, der kommt auch mit seinem all-innewohnenden Geist in Schwingung.

Wer in diesem Yoga gegründet ist, gleicht einem Licht, das an einem windstillen Ort geborgen ist und keinen Windzug erfährt, so dass es allem im Haus leuchtet. Die Beherrschung dieses Yogas ist die höchste Glückseligkeit, die Befreiung von allem Leid, das höchste Gut, das erworben werden kann, das zu erlangen man darum stets bemüht sein sollte. Wer darin ruht, den rührt nichts mehr; wen etwas rührt, der ruht noch nicht wahrhaftig darin.

Dieser bewusstseinserweiternde Zustand kann höchst beglückend sein, jedoch erzeugt er in dem Yogin kein selbstsüchtiges Verlangen nach dieser Gemüts-verfassung, weiß er sich doch immer, auch ohne jenes Gefühl, in diesem Zustand. So kann er auch diese Glückseligkeit wie alles andere gelöst und gelassen weichen lassen.

So sehr diese Erkenntnis der göttlichen Urgründe allen Seins den Unterwiesenen beglückt, so sehr entsetzt ihn, wie tief dann doch der Fall der Menschen ist, die sich allesamt dessen nicht bewusst sind und sich so nachhaltig daraus gelöst haben, dass eine geistliche Wieder-EIN-Geburt von Nöten ist. Und wie sollten die Menschen je diese innere Ruhe erlangen, sind doch alle immerfort rastlos und getrieben?!

Christus erklärt, dass sich dies nur vollziehen kann in der Gnade und der Erfahrung Seiner selbstlos sich immerfort verschenkenden Liebe, die man sich beständig vergegenwärtigen sollte, bis man in ihr auflebt und angefüllt wird mit ihrer geistlichen Kraft und Energie, die alles freisetzt und löst.

Angstvoll fragt der Erleuchtete, was mit jenen ist, die sich in dieser Erfahrung der Liebe nicht halten können. In der Tat, bestätigt Christus, wartet auf solche nichts als entsetzlichste Höllen, die Heimsuchung von den schlimmsten Plagegeistern. Denn irdische Glückseligkeit kann diese nicht mehr beglücken, die himmlische Glückseligkeit aber haben sie verloren. Darum müssen sie in der Tat zergehen, wie sich eine Wolke auflöst.

Diese Enthüllung wirft den Jünger Christi in furchtbarste Verdammungsängte, denn was weiß er schon, ob er nicht irgendwann noch Ärgernis nimmt an Christus, wie doch eigentlich jeder, und noch zu einem Verräter wird?! Wie kann er da noch für sich oder irgend jemanden auf Heil hoffen!

Er bittet den Allversöhner um ein erlösendes Wort. Da enthüllt ihm Christus: Wenn jemand zergeht wie eine Wolke, so ist dieses Gericht zugleich sein Heil, weil dies seinen Geist freisetzen wird in der nächsten Wiedergeburt.

Wer schon einmal die Liebe Christi erfahren hat und von ihr angerührt worden ist, muss darum keine Angst haben, aus ihr wieder heraus fallen zu können. Denn niemals würde Christus eine Seele auf ewig aufgeben, die Er doch schon einmal gewonnen hat! Alle sind geliebt und werden in dieser Liebe auch gesucht und gefunden werden. In dieser Gewissheit darf sich jeder sicher geliebt und angenommen fühlen.

Die Sehnsucht nach dem ewig verloren Geglaubten, das eine in Verlorenheit gefallene und verendende Seele verzehrt, wird sie in ihrer nächsten Wiedergeburt in Umstände setzen, in welchen sie diese Glückseligkeit wieder erlangt. Sie wird vom Mutterleibe an vom Heiligen Geist umspielt sein, so dass ihre ganze künftige Existenz der Wiedererlangung der verlorenen Gnade zustrebt.

Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist Saul, der schon – gleich Anakin Skywalker in der „Star Wars“-Saga – einen so verheißungsvollen Anfang nach seiner Wiedergeburt im Geist gemacht hat, dass man sich fragte, ob man ihn zu den Propheten zählen muss. Darüber jedoch überheblich geworden, ist er aus der Gnade gefallen. In der selben Selbstverkennung suchte er diese schließlich durch Eifer für das Gesetz in seinem Folgeleben als Saulus wieder zu erlangen und wurde zugleich durch die Gesalbten Christi, die diese Gnade trotz ihrer Unzulänglichkeit einfach geschenkt bekamen, weil sie nämlich demütig waren, zur Eifersucht gereizt. Im Letzten jagte Saulus aber der verlorenen Gnade nach, von der er nicht wusste, wie sie zu erlangen sei. Erst die vollendete Enthüllung Christi, wie er, Saulus, in Wahrheit war, auch schon in seinem Vorleben als Saul, und wie Gott – nämlich Christus – in Wahrheit ist, ließ ihn die verlorene, nie wirklich erkannte Gnade in solch eindrückler Weise finden, dass sie ihn unwiderruflich prägte, wenngleich er die Wucht der alles enthüllenden Offenbarung Christi in ihrer ganzen Bandbreite nicht aufnehmen und behalten konnte, für vieles Enthüllte aufgrund von dessen Überschwänglichkeit zunächst noch blind bleiben musste.

So beantwortet das Schicksal des gefallenen Saul, der in seinem Folgeleben als Paulus einer der größten christlichen Propheten wurde, ob ein Gefallener noch zu den Propheten gehören könne. Wenn Christus einmal berufen und erweckt hat, der gehört Ihm unverlierbar. Wen Er erwählt hat, den hat Er erwählt.

Dies kündet – als Hoffnungszeichen für alle – das Leben des Saul und Saulus, der noch zum Paulus wurde. Was aber wird dann wohl aus dem von Christus erwählten Judas geworden sein oder noch werden?

An dieser Fülle der Entfaltung neuer Offenbarungen aus der heiligen Schrift, die dem Erleuchteten bislang versiegelt und verborgen waren, zeigt sich die Wirkung des göttlichen Wortes: Es gleicht einem Morgenstern, der hinter dem Horizont auf sein Aufgehen wartet, einem Samenkorn in der Erde, das zu einer mächtigen Pflanze heraus sprießt. So gibt Christus den wahrhaft Suchenden weit über Bitten und Verstehen hinaus – in der Enthüllung Seiner universal wirksamen Liebe. Wer in die eingetaucht ist, ist weit größer, als der größte Heilige.

Darum gilt es, sich im Yoga der Liebe zu üben. Keiner muss etwas fürchten, wenn er darin strauchelt. Denn niemand fällt tiefer als in Christi Hand. So ist aus dem Blick der Liebe Christi schon jeder im Herzen Christi, ungeachtet, ob er am Anfang seines Weges zur göttlichen Liebe steht, aus ihr gefallen ist oder bereits gänzlich in ihr aufgegangen ist. Jeder darf sich unendlich geliebt wissen von dem immer unaufhörlich liebenden Christus.

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